Die Legende bzw. der Mythos des Jakobus begann mit dem Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes, bekannt als einer der zwölf Apostel. Jakobus der Ältere, wie er in Abgrenzung zum gleichnamigen Sohn des Alphäus hieß, wurde als erster der zwölf Apostel hingerichtet - als Exempel gegen die Aufrührer. Sehr wahrscheinlich hat er den nahen Osten nie verlassen. Der Mönch Beatus von Liébana (gest. 798) „bereitet die Atmosphäre“ für die Entdeckung des Grabes des Aposteln in Galizien (750-800) und schafft so die Grundlagen für den spanischen Jacobus-Kultes, sodass Spanien einen Patron und Beschützer erhält.
Neben lokalen Propagandaschriften wird der Mythos dann in der Legenda Aurea, (ca. 1264) des Jakobus de Voragine etabliert. 1306 wurde der erste Pilger dokumentiert, der eine Sühnepilgerfahrt unternahm. Im 15. Jh. war die Pilgerbewegung geprägt vom Ablasswesen, der Fegefeuerlehre und diversen Mirakelerzählungen.
Unser Lebensweg ist weitaus mehr als bloßes Unterwegssein. In ihm werden all unsere Gedanken, Reflexionen, Entscheidungen, Verantwortlichkeiten, Träume, Wünsche und Sehnsüchte gebündelt, eben alles, was uns als Menschen ausmacht. Nur ein Mensch kann sich bewusst dazu entscheiden, sich auf den Weg zu machen.
In unserer Alltagssprache beschreiten wir permanent metaphorische Wege. Treffen wir eigene Entscheidungen und suchen nach Handlungsalternativen gehen wir neue Wege, scheinen diese erfolgreich zu sein, bescheinigt man uns, wir seien auf dem besten Weg. Lassen wir uns in unserem Tun nicht beirren, gehen wir unseren eigenen Weg, erneuern wir verloren gegangene Kräfte, befinden wir uns auf dem Weg der Besserung.
Schwierigkeiten sind Steine, die wir in den Weg gelegt bekommen, sodass wir unser Ziel oft nur auf Umwegen erreichen, behindern wir andere in ihren Entscheidungen, stehen wir ihnen im Weg. Will uns jemand fördern, ebnet er uns den Weg und Hindernisse sind dazu da, sie aus dem Weg zu schaffen. Und oft sind es die Menschen, die in unseren Augen vom rechten Weg abgekommen sind, denen wir nicht so recht über den Weg trauen und denen wir lieber aus dem Weg gehen.
Der Weg ist somit die beliebteste Metapher für das Dasein des Menschen; man spricht ausdrücklich vom Lebensweg.
Ihn zu Bewältigen, den Umgang mit den damit verbundenen Tiefen und Höhen auch im Sinne von Lebensprüfungen und Initiation ist im Mythos die Heldenreise. Da Erfahrungen der progressiven Vorwärtsbewegung im Unterwegssein und Erfahrungen der seelischen Wandlung sich sehr ähnlich sind, kann das Wegmotiv auch als symbolische Darstellung des seelischen Entwicklungs- und Differenzierungsprozesses, des Individuationsprozesses verstanden werden, mit dem Ziel der Annäherung an das spirituelle Zentrum des Menschen, der Ganzheit und Vollständigkeit der Persönlichkeit, dem Selbst.
In Märchen und Mythen spiegelt sich das archetypische Motiv der Suchwanderung im Motiv „des sich auf den Weg machens“ des Helden oder der Heldin wieder, das ähnlich wie der Heldenweg als Symbol der Selbstfindung und Wandlung des Helden / Heldin verstanden werden kann.
Wege sind mit Aufbruch, Bewegung, Dynamik, dem Unterwegs sein und damit einhergehend den unterschiedlichsten Gefühlen verbunden (z. B. Trauer, Freude, Angst).
Sie stellten in ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit (z. B. steinig, sandig, mit Löchern und Pfützen), in Verbindung mit klimatischen Bedingungen (Hitze, Regen, Kälte, Schnee) und Gefahren eine besondere Herausforderung für den Menschen dar, der über Jahrtausende auf ihnen zu Fuß unterwegs sein musste.
Die besondere Funktion des Weges ist die Erschließung des Außenraumes. „Der Wanderer hat keine feste Stätte, die Straße ist seine Heimat“… Fremde, Trennung ist sein Los…“ heißt es im 56. Zeichen des I- Ging.
Der Weg ist aber nicht nur ein uraltes Symbol für den Lebensprozess: einerseits den Lebensweg, andererseits den inneren Entwicklungsprozess, den Individuationsprozess nach C. G. Jung. „Sich auf seinen Weg zu begeben“, oder „seinen eigenen Weg gehen“ meint deshalb auch den Prozess der Selbstverwirklichung anzustreben, dessen Ziel die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit ist. Auf dem Weg durch das Leben und in Annäherung an uns selbst und unsere innere Wirklichkeit sind wir analog zum Beschreiten eines gelegentlich steinigen, gefahrvollen, seltener angenehmen, bequemen Weges Gefahren ausgesetzt, müssen Hindernisse überwinden, erleben Irr- und Umwege, geraten in Sackgassen, in die Nähe von Abgründen, entdecken Neues, empfinden unser Leben als ein Labyrinth der Irrungen und Wirrungen, bis wir unser Ziel und unsere Mitte erreicht haben. Oft müssen auch Entscheidungen gefällt werden (Scheideweg, Weggabelung), denn geradeaus verlaufen die wenigsten Wege.
In vielen religiösen Traditionen ist der Weg Symbol für die Suche nach dem Göttlichen und dem Selbst – als Reinigungsweg oder Erleuchtungsweg auf dem rechten Weg zum Heil: Buddha lehrte den „achtgliedrigen hleiligen Pfad“, im alten Indien war magra der Heilsweg und im Sufismus wird der Zugang zur mystischen Schau als „Weg“ (tariqa) bezeichnet. Das Wort „Weg“ wird in der Bibel häufig genannt. Der alttestamentliche Gott ist ein mitgehender Gott (Ge. 12, 1-3). Israel versteht sich als wanderndes und geführtes Volk (z. B. Abrahams Aufbruch, Flucht unter Moses, Landnahme und Exil). Im Neuen Testament wird Jesus zum alleinigen Weg und Heilsweg. Jesus selbst sagte von sich: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Joh 14, 6),
Als wichtiger Aspekt des Pilgerns erscheint mir der Kontrast des natürlichen Rhythmus des Gehens zur oftmals gehetzen und gestressten Fortbewegung des gegenwärtigen menschlichen Lebens, in dem die Ganzheitlichkeit von Körper und Seele immer mehr vernachlässigt wird. Hinzu kommt die Faszination, sich einen Weg tatsächlich zu ergehen, ihn sich mühsam zu erlaufen und sich in dieser Aufgabe von keinem technischen Hilfsmittel unterstützen zu lassen. Dabei sei betont, dass es bei Weitem nicht nur die physische Anstrengung ist, der der Pilger sich stellt, sondern dass diese vielmehr zu einer Symbolhandlung für den geistigen Weg wird. „Der Mensch möchte durch sein Gehen etwas erreichen. Er möchte weiterkommen. Der Weg, den der Mensch zu Fuß zurücklegt, soll zu einem inneren Weg werden.“
Während der Aspekt des Gehens für die Menschen des Mittelalters wohl kaum etwas Besonderes war, stellt er für uns (post)moderne Menschen eine Herausforderung dar, der sich zu stellen schon Motivation genug wäre, nach Santiago zu pilgern. Zusätzlich wird unser Lebensrhythmus durch die drastische Beschleunigung von Arbeitsprozessen in Wirtschaft und Arbeitswelt angetrieben. Der moderne Mensch ist ständig unterwegs, rastlos, „auto- mobil“. Er bewegt sich nicht mehr auf Wegen und Pfaden, sondern begradigt, asphaltiert und beschleunigt sie, da er sein Ziel auf schnellstem Weg ohne Zeitverlust erreichen will.
Dass das Pilgern als gesellschaftliches Phänomen diesem übertriebenen Tempo entgegen wirken kann, zeige auch popurär gewordene Begriffe wie Entschleunigung, Nachhaltigkeit oder Achtsamkeit. Der Mensch braucht Ziele, um seinem Leben Sinnhaftigkeit zu verleihen. Insofern stellt der Weg nach Santiago eine besondere Richtung, und die Stadt selbst einen besonderen Endpunkt dar, da sie sowohl geographisches, konkretes, als auch geistiges, ideelles Ziel der Reise ist.